Über den Dom von Siena in der Toskana
Lang und verwickelt ist die Baugeschichte des Domes von Siena, einer der schönsten und schmucksten Kathedralen Europas, aber spärlich und unsicher ist, was wir von der Zeit und den Umständen der Erbauung wissen. Das erste sichere Zeugnis, über das wir verfügen, geht auf das Jahr 1136 zurück, in dem einem eigenen Bürgerausschuss die Aufgabe erteilt wurde, für die Erbauung des Domes zu sorgen, dessen Verwaltung in der Folge auf die Mönche der Abtei San Galgano von überging, die sie bis 1314 innehatten.
Im Jahre 1284 wurde Giovanni Pisano mit der Errichtung der Fassade beauftragt, aber er stellte nur den unteren Teil fertig. Mittlerweile wurde das dreischiffige Gebäude mit der Kuppel und dem Glockenturm vollendet. Aber in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts kamen die Seneser, die den Gipfel von Wohlstand und Macht erreicht hatten, auf den Gedanken, ein neues, großartiges Gebäude in die Südostseite des bereits bestehenden Gotteshauses einzufügen. So begann der Bau des «Duomo Nuovo», mit dessen Errichtung zuerst Lando di Pietra und dann Giovanni d'Agostino beauftragt wurde. 1348 jedoch wurden die Arbeiten wegen der Pest und der unzulänglichen Haltbarkeit des Gebäudes eingestellt und wenige Jahre später das Vorhaben endgültig aufgegeben.
Die baufälligen Teile wurden abgetragen, es blieben einige von den vorderen Hauptmauern, das rechte Seitenschiff und die Fassadenmauer stehen, welch letztere mit ihrer Wucht das Stadtpanorama beherrscht. Dann ging man daran, den Bau des alten Domes zu vollenden. 1382 wurde die Apsis fertig, das Mittelschiff aufgesteckt und der obere Teil der Fassade von Giovanni di Cecco gebaut. Trotz der Unterbrechungen und der weiteren Ausgestaltung im Lauf der Jahrhunderte, die offenkundige Spuren sowohl im Grundriss als auch in den Strukturen und in der Ausschmückung der Kathedrale zurückgelassen haben, erscheint der großartige Marmorbau als ein prächtiges, einheitliches Ganzes, von der reich gestalteten Fassade aus behauenem Marmor und dem Glanz der Mosaike bis zu den schlichteren, aber nicht weniger ansprechenden Seitenmauern und dem hohen, spitzen Glockenturm mit den schwarzen und weißen Zierstreifen und den Fensterreihen mit der wirkungsvollen Steigerung von Einbogen und Sechsbogenfenstern. Die Einheitlichkeit dieses Baudenkmals ist auf die ebenso originelle wie überraschende Abstimmung der gotischen Elemente, die im Äußeren vorwiegen, mit den romanischen, denen im Inneren der Vorzug gegeben wurde, zurückzuführen.
Für die Innenbesichtigung sollte sich der Reisende genügend Zeit nehmen und – hoffentlich auf nicht allzu viele Touristen treffen. Und Kenner wissen ja schon längst, dass die Fassade am späten Nachmittag in den schönsten Farben strahlt! Wer früher kommt, dem empfehlen wir den Aufstieg auf einen ehemaligen Seitenturm, heute Dommuseum. Von dort wird er mit einem herrlichen Blick über die Stadt Siena und weit hinaus ins Land belohnt! Hier nun einige Details:
Ein Meisterwerk italienischer Baukunst ist die Fassade.
Den unteren, ausgesprochen romanischen Teil, ein Werk - wie bereits erwähnt - von Giovanni Pisano, kennzeichnen drei große Portale und eine Reihe sehenswerter Standbilder von demselben Pisano, die hier durch Nachbildungen ersetzt wurden, um ihrem Verfall im Laufe der Zeit vorzubeugen, während sich die Originale im «Museo dell'Opera» befinden. Rein gotisch ist hingegen der dreispitzige, reichlich verzierte obere Teil.
Der obere Teil des Hauptportals des Domes, frankiert von Säulenbündeln mit einem prächtigen Dekor im klassischen Stil: Achantus-Gewinde, Putten und Bestiarien, geschaffen von Giovanni Pisano. Im Sturz des Portals prangt ein Basrelief von Tino di Camaino, etwa 1285 bis 1337, das die Geschichte des hl. Joachim und der hl. Anna darstellt. Das erst 1958 geschaffene Bronzeportal ist ein Werk von Enrico Manfrini, das Thema ist die Verherrlichung der Jungfrau durch Gott und die Menschen. Bild unten: Teilansicht des linken Seitenportals. Auch hier ist zwischen dem Sturz und dem Bogen wie im rechtsseitigen Portal ein Basrelief zu sehen. Mitten im oberen Abschnitt der Fassade ist eine große Fensterrose, geschmückt mit Standbildern der Muttergottes und der vier Evangelisten, sowie Patriarchen und Propheten, alles Nachbildungen der Originale aus dem 14. Jahrhundert, die jetzt im «Museo dell'Opera» verwahrt werden. Die drei Spitzen der Fassade zieren Mosaike von Augusto Castellani (1877), über der mittleren thront ein Engel von Tommaso Redi (1639).
Die linke Seitenwand des Domes lehnt sich an den Erzbischöflichen Palast und hat ein geschlossenes einbogiges Fenster. Die rechte Seitenwand mit den schwarz-weißen Marmorstreifen ist von gotischen zweibogigen Fenstern durchbrochen. Am rechten Ausläufer des Querschiffes befindet sich der Seiteneingang zum Dom mit einer Lünette, in deren Mittelpunkt Donatello auf einem Tondo die "Madonna del Perdono" dargestellt hat.
Das Innere
Das dreischiffige Innere der Kathedrale in Form eines lateinischen Kreuzes ist von schlichter, eindrucksvoller Größe, noch gesteigert durch das Licht und Schattenspiel der weißen und schwarzen Marmorstreifen, die sich an den Wänden und Pfeilern hinziehen. Was hier vorherrscht, ist gerade das farbliche Motiv, selbst das Himmelstreben der Pfeiler erscheint, durch das waagrechte Streifendekor gemildert, die Perspektive wird zu einer Folge einander überlagernder Ebenen von materischer Phantasie und raffinierten für Siena typischen Farbtönungen. Rund um das ganze Mittelschiff zieht sich ein Mauerkranz hin, gestützt von 172 Büsten von Päpsten, von 1400 - 1500 geschaffen, und darunter sind die Büsten von 36 Kaisern angeordnet.
In den Seiten und in den Querschiffen befinden sich prächtige Kapellen, wie die Muttergottes-Kapelle im rechten und die Kapelle des Hl. Johannes des Täufers im linken Querschiff. In dem erhöhten Presbyterium prangt über dem Hauptaltar, einem Werk von Baldassarre Peruzzi (1532) ein großes Bronzeziborium von Vecchietta, das 1506 hier anstelle der «Majestät» von Duccio aufgestellt wurde.
Der Fußboden
Aber eines der echtesten Meisterwerke der Basilika besteht in dem marmornen Fußboden, den Graffito und zum Teil sogar eingelegte bildliche Darstellungen schmecken. Er setzt sich aus 56 Feldern mit der Darstellungen biblischer Szenen, Sibyllen, Tugenden und verschiedenen geschichtlichen Szenen zusammen, die in verschiedenen Epochen und mit verschiedenen Techniken von der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts bis um die Hälfte des 16. Jahrhunderts ausgeführt wurden. Zu den größten Künstlern, die hier Hand anlegten, und es waren über 40, erinnern wir an Matteo di Giovanni, dem wir die Szene der «Ermordung der Unschuldigen Kinder» verdanken. Daneben die Sibylle Samia, von demselben Künstler ausgeführt.
Chigi-Kapelle
Sie wurde 1661 nach einem Entwurf von Gian Lorenzo erbaut; den Auftrag hatte Papst Alexander VII. (Fabio Chigi da Siena, 1655 - 1661) gegeben. Über dem schlichten Rundbau mit vier Halbrundnischen wölbt sich eine vergoldete Laternenkuppel. Die im Barockstil gehaltene Kapelle zeigt reichen Marmor- und Bronzeschmuck. Berühmt ist das Gnadenbild der "Madonna del Voto" über dem Altar in einem Schrein, der von zwei vergoldeten Bronzeengeln Gnadenbild stammt aus der Schule des Guido da Siena (13. Jh.). Von Bernini sind der Altartabernakel und die beiden vergoldeten Bronzeengel. Die beiden Marmorstatuen in den Nischen links nur rechts des Eingangs stellen die von Bernini geschaffenen Heiligen Hieronymus und Maria Magdalena dar. Die Statuen der hl. Katharina von Siena und des hl. Bernardino seitlich des Altars haben hingegen die beiden Bernini-Schüler Ercole Ferrata und Antonio Raggi ausgeführt. Die vier Reliefs zwischen den Säulen zeigen Szenen aus dem Marienleben; sie wurden 1748 in Rom ausgeführt. Gegenüber dem Altar steht etwas links die 1918 von Arturo Vigilardi geschaffene Votivstatue der "Dankbarkeit".
Kapelle Johannes des Täufers
Gegenüber der Chigi-Kapelle liegt im linken Arm des Querschiffs in der Nähe des Grabmals des Kardinals Riccardo Petroni (Werk des Tino da Camaino, 1314-18) die Kapelle Johannes des Täufers.
Sie wurde 1482 von Giovanni di Stefano im Frührenaissance-Stil erbaut und zeigt ein schönes Marmorportal des Lorenzo Marrina, das reich mit Intarsien und Basreliefs geschmeckt ist. Es wird von vier Säulen frankiert, deren Basis im nachgeahmten romanischen Stil dem Federighi zugeschrieben wird. Die schmiedeeiserne Tür ist ein Werk des Sallustio di Francesco Barili. In der Mitte der Kapelle steht das achteckige Taufbecken mit Basreliefs, die dem Antonio Federighi zugeschrieben werden. Sie zeigen sechs Szenen aus dem Leben Adam und Evas, Samson und den Löwen, Herkules und den Zentaur. In der Mittelnische steht die ausdrucksvolle Bronzestatue der Täufers, eine der letzten Arbeiten Donatellos (1457). Die eher schlichte Statue lässt eine tiefe Spiritualität und Askese ahnen. Wie bereits erwähnt, ist es ein Werk aus des letzten Schaffensperiode Donatellos und entstand nach der "Madonna Penitenie" des Baptisteriums in Florenz. Von den acht ursprünglichen Fresken des Pinturicchio (150104) sind nur fünf im Original erhalten geblieben; die übrigen drei Fresken wurden 1608 von Francesco Rustici (Rustichino) erneuert.
Die Kuppel
Die sechseckige, auf sechs Pfeilern ruhende Kuppel wurde von 1259 bis 1264 erbaut. In einer jeden Ecke steht auf einer Säule eine große vergoldete Heiligenstatue, geschaffen von Ventura Tiparilli und Bastiano di Francesco. Im darüber liegenden Teil ist das Sechseck durch muschelförmige Nischen zu einem Zwölfeck umgestaltet, und darin verläuft ein Säulengang, mittels 42 Säulen mit den Bildnissen ebenso vieler Patriarchen und Propheten unterteilt. Die Bilder wurden 1481 von Guidoccio Cozzarelli, Benvenuto di Giovanni und Pellegrino di Mariano gemalt. Über dem Säulengang können wir schließlich die asymmetrische Haube der Kuppel und die 1891 restaurierte Laterne sehen. Groß ist die Vielfältigkeit der Blickfelder dank der sechseckigen Gestaltung der Kuppel. Zu ihren Füßen sind im Bodenbelag, von Sechsecken und Rhomben eingeschlossen, noch zahlreiche bildliche Darstellungen biblischer Szenen zu sehen, die man Domenico Beccafumi zuschreibt (1486 - 1551), dem berühmtesten Seneser Maler des 16. Jahrhunderts. Allerdings mussten diese bildlichen Darstellungen später weitgehend von Alessandro Franchi nachgestaltet werden.
Außen ist die Kuppel mit soliden Rippen verstärkt. Sie sitzt auf einer sog. Trommel, die wiederum aus einem doppelten Säulengang besteht: der untere ist durch Spitzbögen auf gedoppelten Säulen begrenzt, der obere durch Rundbögen. Als man 1376 den Gedanken, den «Neuen Dom» zu bauen, aufgab, schritt Giovanni Cecco zur Vollendung der Fassade, und da man sie in der Höhe noch gewaltiger gestalten wollte, musste das ganze Gebäude aufgesteckt werden, und so wurde die ganze untere Loggienreihe der Kuppel verdeckt.
Der Hochaltar
Er wurde von Baldassarre Peruzzi entworfen, von Pellegrino di Pietro 1536 in Marmor gehauen und ist von einem Bronze-Ziborium (748 kg) des Vecchietta (1467-72) gekrönt. Die beiden seitlichen Kandelaber- Engel sind von Giovanni di Stefano (1489), die unteren von Francesco di Giorgio Martini (1499). An den Pfeilern sind auf Bronze-Konsolen acht schön ausgeführte Engel des Domenico Beccafumi angebracht (1548-50).
Der Chor
In der Apsis befindet sich das prächtige Chorgestühl, das den unteren Teil der Nische über die ganze Breite der drei Kirchenschiffe einnimmt. 1363 begonnen und 1397 vollendet, bestand es ursprünglich aus 90 doppelreihig angeordneten Sesseln, überragt von Baldachinen und geschmeckt mit Tabernakeln und Heiligenstatuen. Der seitlich in der Nische abgeordnete Teil ist das, was von dem prächtigen Komplex aus dem vierzehnten Jahrhundert übrig geblieben ist, einem Meisterwerk von Francesco und Jacopo del Tonghio. Die herrlichen Blenden der Lehnen wurden aber von Fra' Giovanni da Verona geschaffen. Sie waren zunächst für den Chor des Benediktinerstifts von Porta Tufi bestimmt und wurden erst im Jahre 1503 im Chorgestühl der Kathedrale angebracht. Die Motive sind wunderbare Stilleben und Stadtansichten. Die prunkvollen Mittelsitze im Stil der Renaissance wurden hingegen von Teseo Bartolini da Pienza und Benedetto di Giovanni da Montepulciano nach Zeichnungen von Riccio in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts geschnitzt. Im Ganzen gesehen ist der Chor jedenfalls ein Werk von vorzüglichem Geschmack und überaus reich an Zierrat.
Der Piccolomini-Altar
Den mächtigen Altar, der im linken Seitenschiff steht, ließ Kardinal Francesco Piccolomini 1481 von Andrea Gregno bauen. Das Madonnenbildnis in der Nische oben hat man Jacopo della Quercia zugeschrieben, die zarte Muttergottes mit dem Jesuskind in der Marmorumrahmung ist vielleicht ein Werk von Paolo di Giovanni Fei (1381). Von hervorragendem Interesse sind die von Michelangelo gehauenen Standbilder des Hl. Paulus und des Hl. Petrus, die man im Bild oben sieht, sowie die des Hl. Gregorius und des Hl. Pius im Bild unten. Kardinal Piccolomini hatte deren fünfzehn in Auftrag gegeben, aber der große Meister schuf in den Jahren von 1501 bis 1504 nur vier Stück. Bemerkenswerterweise handelt es sich dabei um die am wenigsten bekannten Werke Michelangelos, obwohl sie stilistisch von großem Wert sind.
Fensterrose
In der Fensterrose der Innenfassade des Doms hat Pastorino de' Pastorini 1549 nach einem Entwurf des Perin del Vaga das Abendmahl dargestellt. Auf der Abbildung seitlich das Rundfenster über der Apsisnische. Es wurde 1288 nach Entwürfen des Duccio Buoninsegna geschaffen und stellt Tod, Himmelfahrt und Krönung der Jungfrau, sowie die vier Evangelisten und die vier Stadtpatrone von Siena dar; es gilt als erstes Beispiel eines Kirchenfensters in Italien. Die dritte Abbildung zeigt das rechte der beiden Weihwasserbecken im Dom, die Antonio Federighi 1462-63 ausführte.
Die Piccolomini - Bibliothek
Hinter dem ersten Bogenfeld des linken Seitenschiffes befindet sich die Piccolomini-Bibliothek. Sie entstand ab 1492 auf Geheiß des Kardinals Francesco Piccolomini Todeschini, später Papst Pius III., der hier die Bücher seines Onkels mütterlicherseits, des Papstes Pius II., zusammentragen wollte. In der Marmorfront sehen wir kostbare Dekors Marrinas und darüber ein Fresko von Bernardino di Betto, genannt Pinturicchio (1454 - 1513), das die Krönung Pius' III. darstellt. Das Innere der Bibliothek - es handelt sich um einen einzigen rechteckigen Saal - fällt durch das viele Licht, durch die lebhaften, geschmackvollen Farben der Bemalung auf.
In der Mitte befindet sich auf einer Renaissance-Konsole die
Gruppe der «Drei Grazien», eine aus dem 4. Jahrhundert stammende Nachbildung des
griechischen Originals aus hellenischer Zeit: die Skulptur ist ein Geschenk von
Kardinal Piccolomini für die Bücherei. Längs der Wände prangen zwischen
Pendentive und Lisenen die Fresken Pinturicchios, zwischen 1505 und 1508
ausgeführt. Sie schildern Episoden aus dem Leben von Enea Silvio Piccolomini,
der, 1405 in Corsignano (Pienza) geboren, Erzbischof von Siena und später Papst
wurde (1458 - 1464). Er war ein großer Humanist, Diplomat und Kirchenfürst. Gewiss
scheint in diesem letzten Werk die flotte Manier, die Mitteilsamkeit des
Meisters aus Umbrien irgendwie müde geworden zu sein im Vergleich zu der Frische
und Geistigkeit der Fresken in der Baglioni-Kapelle in Spello oder in den
Gemächern der Borgia im Vatikan. Ader dennoch verblüffen diese Schilderungen ob
ihrer gleitenden Farben, ob der Schlichtheit und Lebendigkeit der Schilderung,
in der es keine dramatischen Höhepunkte gibt, ob der Fertigkeit in der
Darstellung, die Pinturicchio eigen war.
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