Reise durch die Südtoskana

Es war an einem Mai-Tag in der südlichen Toskana, bei San Quirico d'Orcia. Unser Bus wurde von einem Polizisten angehalten. Wir warteten. Plötzlich kam ein Oldtimer aus Richtung Siena daher, viel zu schnell für die enge Kurve ins Dorf. Er raste geradeaus eine Auffahrt in ein kleines Kastell hinein. Kurz vor dem geschlossenen Tor des Kastells konnte er anhalten, legte den Retourgang ein, schob in die Kreuzungsmitte zurück und mit Knattern entschwand er wieder unseren Blicken. Nach ein paar weiteren Fahrzeugen, die an einem nostalgischen Rennen in Erinnerung an die legendäre " Mille Miglia" teilnahmen, konnte unser Bus seine Reise durch die Südtoskana fortsetzen.

Wir hatten unseren heutigen Ausflug im Kurort Chianciano Terme begonnen. Chianciano Terme ist ein bekannter Kurort im Südosten der Toskana, nicht weit von der Autobahn "Strada del Sole" gelegen. Schon die Anfahrt von der Autobahnausfahrt "Chiusi" ist für mich immer ein Erlebnis. Meistens erreiche ich die Südtoskana abends im untergehenden Sonnenlicht. Von der Autobahnmautstation führt die Straße ein paar Kilometer, gesäumt von Zypressen, Olivenbäume und Ristoranti, zu dem in rund 500 m ü. M. gelegenen Kurort. Entlang der Auffahrt bieten sich herrliche Ausblicke auf den Trasimeno-See, der bereits in Umbrien liegt, sowie auf das nahende Chianciano Terme, das sich unter den Hügelkamm des Pigna duckt und Alto Chianciano, die Altstadtzelle des Kurortes.

Chianciano Terme ist keiner der Nobelkurorte Italiens. Hier, so meine ich, finden Sie noch die alten Traditionen von Kurorten: Einfache Hotels, neben ein paar wirklich sehr guten Häusern, Cafés, elegante Geschäfte, aber keine Restaurants! Denn hier wird im Kurhotel zu Mittag und zu Abend gegessen! Interessant auch das Ortsschild beim Verlassen: „Arrivederci Fegato!“ heißt es da - „ Auf Wiedersehen, Leber!“. Gemeint ist das menschliche Organ, dem in diesem Kurort Linderung versprochen wird. Chianciano Terme war bis vor wenigen Jahren ein reiner Trinkkur-Ort. Jetzt gibt es neben den Heilquellen „Acqua Santa“, „Acqua Santissima“, „Acqua Fucoli“ und “Acqua Sant’ Elena“ auch die 38,5 ° C heiße Thermalquelle „Acqua Silene“.
    Ich wohnte ein paar Mal im Hotel "Michelangelo". Das liegt ganz oben, oberhalb der Kurzone, am Rande des Ortes, im Grünen. Ich empfehle aber die Mitnahme einer Schrotflinte, zwecks Ermordung der "lieben Tiere", die Sie zum ersten Sonnenstrahl gerne mit allerlei Gekreisch und Gegacker begrüßen. Nicht, dass ich gegen Tiere etwas hätte, schon gar nicht gegen die Natur. Nur, wenn ich auf Reiseleitung bin, des Abends spät wie tot ins Bett falle, hätt' ich halt' gern' wirklich bis 7 Uhr früh geruht. Der Swimmingpool, übrigens, wurde gerne von den Gästen schon in aller Frühe genützt. So ein Bad vor dem Frühstück ist einfach erfrischend!

Doch zurück zu unserem Ausflug durch die Südtoskana, der uns auch nach Pienza führte, der "Hauptstadt" des Pecorinos, einem würzigen Schafskäse, der am besten in einer Schüssel voll Asche reift. Hier, in diesem kleinen Ort, kam 1405 Enea Silvio Piccolomini zur Welt. Als Papst Pius II. beschloss er, seine verfallene Heimatstadt nach einem Reißbrettentwurf umzubauen. Und hier in diesem Ort wurde gerade eine Etappe der "Mille Miglia" gestartet. Auf der enge, langgezogenen Hauptstraße, die mitten durch Pienza führt, reihten sie sich aneinander: Die Ferraris, die Lamborghinis, die Tatras, die Rolls Royces, die Bugattis und andere autohistorische Raritäten. Ältere Herren in Rennanzügen, Mechaniker, perfekt angezogene Italiener, kurzhosige Touristen und arbeitsame Einheimische schoben sich durch Pienza.

Von der Stadtmauer aus hat man einen herrlichen Blick hinaus ins Land, über die "unbekannte Südtoskana", wie ich dieses Gebiet gerne bezeichne. In der Ferne kann man den Monte Amiata erkennen. Im Winter "Schigebiet" mit seinen 1 885 m ü. A. Gipfelhöhe. Dann weiter im Westen erkennt man Montalcino. Es thront auf einer Hügelkuppe, es leuchtet weithin ins Land. Zuerst nichts als Getreidefelder, doch je näher Sie an den Ort herankommen, desto mehr Weingärten können Sie sehen. Fahren Sie nicht nach Montalcino der Sehenswürdigkeiten wegen, es lohnt sich nicht. Abgesehen von dem eigenartigen, dreieckigen Rathaus, finden Sie dort nichts wirklich Sehenswertes. Aber ein Wein hat Montalcino weltberühmt gemacht. Die Rede ist vom "Brunello". Einer der ganz wenigen italienischen Weine, der sich mit dem DOCG Emblem schmücken darf. Dieses "DOCG" steht, übersetzt, für: die Herkunft des Weines ist (streng) kontrolliert und garantiert! Die Regeln dieser Auszeichnung, sie wären wieder eine eigene Geschichte wert. Darum lassen wir die Sache einmal so stehen und werfen einen Blick ins umliegende Land.
    Ein kleines Schild signalisiert: "Sant Antimo - 9 km". Kennen Sie Sant Antimo? Nicht? Dann haben Sie etwas versäumt! Sie fahren auf einer nicht allzu gut ausgebauten Landstraße einen Hügelzug entlang, vorbei an vielversprechenden Schildern von Weinbauern. In einer Mulde können Sie durch Bäume hindurch ein altes Gemäuer erkennen, biegen vor einem Dorf rechts ab und fahren auf dieses Gemäuer zu. Es liegt in einem Olivenhain, dahinter steigen die Hänge an, Kuhglockengeläut im Sommer begrüßt den Besucher. Ansonsten Stille, Ruhe und Beschaulichkeit! Vor etwa 20 Jahren wurde diese frühchristliche Basilika von einem französischen Orden der Regulären Kanoniker wiederentdeckt, restauriert und belebt. Mönchgesänge erklingen ab und an, die uralten Wände strahlen Ruhe aus, das Kreuz im Altarraum, die schmalen kleinen Fenster geben Blicke in die Umgebung frei. Nachdenklich verlasse ich immer diesen Ort. Es ist, als wäre ich fernab jeglicher Zivilisation. Und doch, es sind nur ein paar hundert Meter zum nächsten kleinen südtoskanischen Dorf.

Es folgt eine Fahrt auf einer, ich gebe es zu, landschaftlich nicht mehr so reizvolle Strecke. Doch schon nach wenigen Kilometern biege ich ab, wieder hinauf ins "Gebirge", das hier, hart an der Grenze zu Latium noch knappe Tausend Meter schafft. Der Abstecher in den tiefen Süden der Toskana lohnt sich. Hier liegen versteckt die beiden Dörfer Sorano und Pitigliano. Zwei Dörfer, die an den Hängen der Berge kleben. So verschachtelt ineinander, dass es einem schwer fällt zu glauben, hier noch Straßen zu finden. Keine Dörfer mit Kulturschätzen von Weltruhm. Aber Dörfer, die dem Besucher noch Italien zum Genießen bieten. Und irgendwo gibt es dann eine Trattoria, mit der mündlich vorgetragenen Speisekarte. "Mi metto nelle sue mani" - ich gebe mich gerne in Ihre Hände, erkläre ich dem Patrone. Und mit Freuden im Gesicht schlägt er mir eine Reihe von Gerichten der Region vor. Na Mahlzeit, mein Cholesterin lässt grüßen! Aber man lebt nur einmal (wenn auch öfters in Italien). Der Wein, das Essen, der Amaro (ein Magenbitter zum Abschluss), die Landschaft, die Sonne, es ist Zeit zu ruhen.

Nicht weit von den beiden Dörfern erwartet mich noch eine Überraschung. Denn bei der Terme di Saturnia gibt es Schwefelquellen, die über einen kleinen, begehbaren Wasserfall in ein großes Becken plätschern. Hier lasse ich nochmals meine Seele baumeln, bevor ich mich auf den Rückweg nach Chianciano Terme mache.

Der nächste Tag ist wieder ein Tag voller Überraschungen. Mein Weg führt mich zur "Abtei di Monte Oliveto Maggiore", die ganz versteckt in einem Seitental zwischen Chianciano Terme und Siena liegt. Dieses aus roten Backsteinziegeln errichtete, einer Festung gleichendes Benediktinerkloster wurde 1313 vom Orden der Olivetaner gegründet.

Jetzt wäre es nicht mehr weit bis Siena. Doch ich war schon so oft dort und fahre über den verschlafenen Ort Murlo (mit einem guten 3-Sterne-Hotel) nach San Galgano. In den Hügeln südwestlich von Siena liegt die Ruine des ehemals sehr wichtigen Zisterzienserklosters - schließlich waren die Mönche dieses Klosters die Bauherren des Doms von Siena! Erst in den 1960er Jahren wurden Teile des verfallenen Klosters für ein paar Brüder des Olivetanerordens wieder instand gesetzt. Heute können Sie durch die Basilika schlendern - die ist ohne Dach - und die Ruhe und Einsamkeit dieses Ortes genießen.

Am späteren Nachmittag fahre ich wieder in Richtung Chianciano Terme zurück. Immer wieder komme ich über eine Hügelkuppe und genieße den weiten Blick. Die Südtoskana ist bestimmt durch sanfte, weite Hügel, im Spätfrühjahr und Sommer von heranreifenden Getreide überzogen, im Spätsommer dann golden und nach der Ernte bleibt rotbraune Erde zurück - die Bauern pflügen ihre Felder mit Riesengeräten - mir scheint, als würden sie einen Meter tief ackern. Auf jeden Fall faszinierend der Anblick von kilometerweiter Hügellandschaft, alles im rotbraunen Ton!

Doch bevor ich diesen Tag ausklingen lasse, stoppe ich bei Montepulciano. Vor den Toren ist San Biagio, ein runder Tempelbau, von Antonio di Sangallo errichtet. Oberhalb der Kirche, der Ort. Und nicht erst aus dem Dumont-Führer kenne ich den ortsbekannten Winzer Arnaldo Crociani. Nein, dieses Unikat von Montepulcianer habe ich bereits vor Jahren persönlich kennen gelernt: Bänkelsänger, Weinbauer, Wirt und Fasslroller. Weinbauer des für den Ort so berühmten "Vino Nobile di Montepulciano" - auch wieder so ein "DOCG"-Wein! Fasslroller, weil bei dem jährlich stattfindenden Fassrennen "Bravio delle Botti" dieser Mann wacker mitkullert.

Aber die Geschichte wird jetzt zu lange - warum fahren Sie nicht einfach einmal selbst in die "Unbekannte Südtoskana"? Noch schnell ein Wort zum Ort: Spazieren Sie ganz hinauf, auch wenn Sie ins Schnaufen geraten. Denn oben, rund um den Hauptplatz, befinden sich die Eingänge zu den alten Weinkellern. In den Häusern steigen Sie dann tief, bis zu 30 Meter, wieder hinab: über in den weichen Felsen gehauene Treppen und Kellergewölbe, mit uralten Fässern und verstaubten Winkeln. Schließlich kommen Sie dann in die Verkoststube, bevor Sie wieder auf der Straße sind, unterhalb, tief unterhalb des Hauptplatzes!

Von Chianciano Terme können Sie auch noch andere Tagesausflüge unternehmen: Orvieto, schon in Latium, liegt nur eine Autostunde von Chianciano Terme entfernt, ebenso Perugia, Assisi und Cortona (wieder was Toskanisches), na und Siena habe ich ja bereits erwähnt, ist auch nicht weit entfernt. Dazwischen? Dazwischen finden Sie viel Italien! Viel von jenem Italien, das unsere Herzen so ins Schwärmen kommen lässt: Zypressenalleen, Trattorien, Weinbauer, weite Hügel, Träume.

Ein aus dem Dezember 2000 stammender, im Mai 2008 etwas überarbeiteter Bericht

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